28. August 2023

Neophyten Faktencheck

Neophyten werden jene pflanzlichen Einwanderer genannt, die seit 1492 (Kolumbus, Ende des Mittelalters) direkt (Zier, Nutz, Futterpfalnzen) oder indirekt (z.B. Samen) mit Hilfe des Menschen (anthropogene Ausbreitung) in Gebiete gekommen sind, die sie sonst nicht erreicht hätten und dort beständig vorhanden bleiben.

Nach der Verdrängung der Arten während der Eiszeiten begann am Ende der letzten Eiszeit in Europa vor ca. vor 11.700 Jahren eine stetige Rück-Einwanderung der Arten, die bis heute anhält. Da dies ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum für die Ausbreitung von Pflanzen ist, besitzt Europa eine rel. artenarme Flora, verglichen mit anderen Kontinenten (z.B. 1/3 weniger Arten als Nordamerika). Der Hauptgrund für das verzögerte bzw. erschwerte Rück-Einwandern der Arten nach Mitteleuropa ist das Ost-West-gerichtete Gebirgsmassiv der Alpen, das eine natürliche Einwanderungsbarriere darstellt.

Archäophyten (Alt-Eingebürgerte): vor dem Jahr 1492 durch oder mit dem Menschen eingewandert und ohne fremde Hilfe etabliert (bleiben von Neophyten-Maßnahmen unbehelligt). Die meisten wurden mit dem Sesshaftwerden des Menschen aus dem Mittelmeerraum nach Mitteleuropa einbracht. Kulturfolger aus der Zeit der Neolithischen Revolution (8000 v. Chr. bis 2000 v. Chr.).
Zier- und Heilpflanzen: Acker-Hahnenfuß, Klatschmohn, Kornblume, Echte Kamille, Kornrade
Gemüse: z.B. Borretsch, Rübsen, Ackersenf
Getreide und sonst. Nutzarten: z.B. Weizen, Gerste, Lein, Essmohn
Obst: z.B. Kulturapfel, Birne, Pflaume, Esskastanie, Walnuss

Indigene Pflanzen: heimische Pflanzen, ursprüngliche, „alteingesessene“ Arten, die ohne menschliches Zutun im Gebiet vorhanden sind.

Neophyten in Österreich

Von den rund 4.000 Gefäßpflanzen in Österreich gelten ca. 1.100 (ca. 27 %) als nach 1492 eingeschleppte oder eingewanderte Pflanzen (Neophyten), davon ca. 220 etablierte (20 % der Neophyten), davon werden ca. 17 Arten (rund 8 %) als naturschutzfachlich und tw. wirtschaftlich problematisch angesehen (insgesamt 1,5 % der Neophyten Österreichs).

Ursachen der Verbreitung:

  1. Moderner Ackerbau: Herbizide à Resistenzen
  2. Moderne Forstwirtschaft: Waldbau mit nicht autochthonen Arten, schwere Maschinen
  3. ausgewilderte oder ausgebrachte Nutzpflanzen
  4. Bauwirtschaft: Versiegelung, Straßen,…
  5. Begrünungssaaten (Lupine, Fingerhut,…)
  6. Garten-/Parkflüchtlinge: über die Hälfte der Neophyten aus Kulturen verwildert
  7. Kompostanlagen und Wildablagerungen von Pflanzen in der freien Natur
  8. Klimawandel

Herkunftsländer:

östliches Nordamerika, gefolgt vom westlichen Nordamerika und von Ostasien

„Invasive“ Neophyten:

Merkmale: hohe Samenproduktion, rasches Wachstum, Bildung dichter Bestände
Mangel an natürlichen Fressfeinden oder Parasiten, keine Konkurrenz

Ansiedlung von Neophyten ist eigentlich ein Symptom, ein Indikator für vom Menschen denaturierte, geöffnete und damit gestörte Lebensräume

Definition:

  • Verdrängung indigener Tier- oder Pflanzenarten belegt oder zu vermuten
  • Struktur des Biotoptyps markant verändert
  • Standortseigenschaften oder ökosystemare Prozesse langfristig verändert

Drüsen-Springkraut (Impatiens glandulifera), einjährig, um 1830 aus dem Himalayagebiet, Zier- und Bienenpflanze, „Orchidee des Kleinen Mannes“

Japanischer-, Sachalin- u. Bastard-Staudenknöterich (Fallopia sp.), um 1850 aus Korea, Japan,…, als Zierpflanze, Bienen-, Wild- und Viehfutter eingeführt, „Knöterich-Zunami“

Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum), im 19. Jahrhundert als Zierpflanze und Bienenweide aus dem Kaukasus, phototoxisch wirkende Furanocumarine, wird in der Therapie von Psoriasis eingesetzt

Kanadische- und Riesen-Goldrute (Solidago canadensis, S. gigantea), Zierpflanze und Bienenweise, 19. Jh. aus Nordamerika, gleiche Heilwirkung wie heimische Echte Goldrute: Harnwegsinfekte, Pilzinfektionen

Nuttall-Wasserpest (Elodea nuttallii), bei uns für Aquarien genutzte Wasserpflanze aus Nordamerika, seit 1939 in Europa, Fließ- und Stillgewässer

Seidenpflanze (Asclepias syriaca), „Papageienpflanze“, aus Nordamerika, Milchsaft hautreizend, ganze Pflanze stark giftig

Jakobs-Greiskraut (J. Kreuzkraut, Senecio jacobaea)

Schmalblatt-Greiskraut (Senecio inaequidens)

Amerik. u. Asiat. Kermesbeere (Phytolacca americana, Ph. acinosa)

Lupine (Lupinus polyphyllus), Nordamerika, Schmetterlingsblütler/Hülsenfrüchtler à Stickstoffbakterien

Beifußblättrige Ambrosie („Ragweed“), Nordamerika (Vogelfutter, Saatgut), einjährig, allergieauslösend beim Menschen

Eine problematische Zuwanderung stellt die Beifußblättrige Ambrosie (auch Traubenkraut genannt) dar, da sie hochallergene Pollen produziert. Sie stammt aus Nordamerika, breitete sich in den 1990er Jahren massiv in Süd- und Südosteuropa aus und ist seit einigen Jahren auch in Deutschland, bes. in Süddeutschland sogar in Massenbeständen nachgewiesen worden.

Gefährlichkeit:

Impatiens parviflora, ab etwa 1837 aus den Botanischen Gärten von Dresden, Prag und Genf in die freie Natur entkommen: früher Problempflanze „Mongolische Pest“ und heute, knapp 200 Jahre später?!

Wie würden damalige Fachleute heute über das Kleinblütige Springkraut, von dem man um 1930 annahm, es bedrohe die abendländische Zivilisation?

In Mitteleuropa ist kein Fall bekannt, bei dem es bisher zur völligen Verdrängung einer einheimischen Art durch Neophyten gekommen ist (ESSL & RABITSCH 2002)

Aufgrund der Häufigkeit ihres Auftretens wird mittlerweile von den meisten Experten eine Ausrottung als wirtschaftlich nicht umsetzbar bzw. als ökologisch nicht sinnvoll empfunden.

4 Entwicklungsphasen:

  1. Einfuhr
  2. Etablierung
  3. Invasion
  4. Einbindung

Time-Lag:
Zeitspanne zwischen Einfuhr und Beginn der Ausbreitung

2 ausschlaggebende Faktoren: geeignete Lebensräume und Umweltbedingungen:

Ideale Lebensräume sind Ruderalflächen, wo meist durch den Menschen das ökologische Gleichgewicht gestört vorliegt. Forstwirtschaftliche Kahlschlagflächen, brachliegende Kulturflächen, aufgelassene Industrie- und Gewerbeflächen, Straßenböschungen, Uferbereiche, Bahndämme.

In den meisten Lebensräumen Mitteleuropas ist die Gefährdung der einheimischen Fauna und Flora durch die Konkurrenz von Neophyten relativ gering (LOHMEYER & SUKOPP 1992). Hoch ist der Neophytenanteil in manchen naturschutzfachlich weniger wertvollen Ruderal- und Segetalstandorten (vor allem städtische Ruderalstandorte, Hackfruchtäcker). In einigen naturnahen Biotoptypen, vor allem in Auwäldern, in flussbegleitenden Hochstaudenfluren, auf flussbegleitenden Pionierstandorten und in pannonischen Wäldern ist der Einfluss von Neophyten aus Naturschutzsicht jedoch problematisch. Negative lokale und regionale Auswirkungen invasiver Neophyten auf die einheimische Flora sind in Mitteleuropa mehrfach belegt (z. B. KOWARIK 1999), insgesamt aber ungenügend erforscht. Allerdings ist kein Fall aus Mitteleuropa bekannt, wo es bisher zur völligen Verdrängung einer einheimischen Art durch Neophyten gekommen ist.

Vorteile der Neophyten:

  • Neophyten ermöglichen die Artenneubildung, gesehen am Beispiel der Nachtkerzen und kennzeichnend für viele Ackerwildkräuter und Neophytenybriden (Fallopia x bohemica)
  • Neophyten sind eine Bereicherung der regionalen Artenvielfalt; insbesondere an anthropogen stark beeinflussten Standorten oder in intensiv genutzten Agrarländern
  • Neophyten sind eine Bereicherung der Blütenvielfalt, der Blütenabfolge als Nektar- und Pollenquelle (Lückenfüller)
  • genauso wie sie genetische Vielfalt bedrohen, sind sie gleichzeitig auch eine Bereicherung des Genpools, was etwa in Hinblick auf globale Klimaerwärmung und unterschiedliche klimatische Anpassungen von Vorteil sein kann

und nicht zuletzt sind sie auch ein Stück Kulturgeschichte

Fazit:

Die Beantwortung der Frage, ob Neobiota „problematisch“ sind, fällt selbst unter Biologen sehr unterschiedlich aus. Die Bandbreite der Einschätzungen reicht von der Meinung, man solle „der Natur ihren Lauf lassen“ (z. B. REICHHOLF 1995, 1996, 2001) bis zu „eine der größten Bedrohungen der Biodiversität“ (z. B. KOWARIK 1999; MACK et al. 2000; CRONK & FULLER 2001). Beide Seiten haben auf ihre Weise recht. Wie ESER (2002) ausführt, fehlt es dem Naturschutz an einheitlichen Zielen (vgl. auch PRILIPP 1997). Jeder Naturschützer hat sein persönliches Wertesystem, an Hand dessen er seine Urteile fällt. Die stärkere oder schwächere Betonung eines dynamischen, im Gegensatz zu einem bewahrenden Naturschutzkonzept lässt sich nicht durch Fakten begründen. Diese Wertevielfalt zeichnet den Naturschutz einerseits positiv aus. Sie erschwert jedoch auch die Verständigung und Konsensfindung, wenn eigene Werthaltungen nicht offen gelegt werden. Dies muss zwangsläufig zu kontroversiellen Diskussionen führen, wie sie für das Thema Neobiota bezeichnend sind.

Hier noch ein paar Fragen, die zum Nachdenken anregen sollen:

Welche Standorte besiedeln Neophyten vor allem?
Welche Arten werden tatsächlich verdrängt und wie selten sind diese? (RL-Arten, Futterpflanzen f. z.B. Insekten)
Welche Veränderungen unserer Um-/Mitwelt sind wirklich für den Verlust der Biodiversität verantwortlich?
Wie sind vom Menschen geschaffene Monokulturen im Zusammenhang mit Neophyten zu bewerten?
Welche positiven Dinge können wir von den Neophyten für uns lernen?

Was mir persönlich nicht gefällt:

Das Drama und die Hetze in der medialen Berichterstattung. Der hochemotionale Vergleich mit unheilbringenden Seuchen, wie der Pest (Wasserpest=, Waldpest=spätblühende Traubenkirsche, Mongolische Pest=Impatiens parviflora) oder explodierender Krebsgeschwüre. Mit einer Invasion von “bösen” Aliens, als wären diese gebietsfremden Pflanzen nicht von dieser Welt und nicht Teil unseres globalen Ökosystems. Die vermenschlichte Assoziation mit einem Kriegsheer, welches nichts anderes im Sinn hätte, als “unsere heimische Natur” zu vernichten.

Sehr bedenklich finde ich persönlich den großzügigen Einsatz von Herbiziden. Fragwürdige Symptombekämpfung mit nicht abschätzbaren Folgen.

Was ich mir wünschen würde:

Dass wir uns wieder auf die Naturgesetze besinnen. Alles ist Wandel (Das einzig Stete ist die Veränderung, Einstein), alles ist im Zyklus, die Natur strebt IMMER nach Ausgleich. Mehr Geduld und einen mutigen Blick über den menschlichen Tellerrand hinaus. Es gibt noch keinen einzigen Fall in dem ein Neubürger eine einheimische Art zur Gänze verdrängt hätte.

Die Erkenntnis, dass eine Kampfstrategie noch niemals zum Ziel geführt hat, ohne zumindest einer Partei Schaden zuzufügen.

Die Bereitschaft, Angst und Ablehnung fremdartigen Erscheinungen in Neugierde und Zuwendung zu wandeln. Das Fremde durch Recherche kennen lernen. Woher kommen die Neophyten? Welche Bedeutung haben sie im Herkunftsland? Welche positiven Aspekte können wir für uns herausholen?

Ab in die Vogelperspektive!

Ing. Mag. Wilfried Bedek
Biologe

Neueste Beiträge

Die moosbezogene Poesie des Waldes

Ich zähle ja nicht zu den geborenen Sprüche- und Zitateklopfern dieser Erde, die in jeder mündlichen wie schriftlichen Konversation und zu absolut jedem Thema G´scheites von mehr oder weniger bekannten Köpfen parat haben. Welch bewundernswerte Gabe für diesbezüglich...

ACHTUNG! WEITERLESEN AUF EIGENE GEFAHR!

Du liest trotz Warnung weiter als bis zum Ende des Titels? Wie erfreulich und wagemutig gleichermaßen! Einige von euch wollen sich die Story hinter dem Locktitel wohl nicht entgehen lassen. Die Neugierde ist halt schon ein übermütiges, risikoliebendes  Laster. Oder...

DAS GRAS WACHSEN HÖREN

WARNHINWEIS: Die Kraft der Natur ist eine stark wirksame Substanz. Es ist deshalb unsere Pflicht, dich über Wirkung und erwünschte Nebenwirkungen zu informieren. Schon allein der Aufenthalt in der Natur, und erst recht der bewusste Kontakt mit Pflanzen und...

VISIONSSUCHE MIT HUMOR

oder WINDIG MIT AUSSICHT AUF BOHNENEINTOPF Wo sehen Sie sich in 5 Jahren? Immer schon war mir diese brenzligverfängliche Entblößungsfrage in Bewerbungsgesprächen und Mitarbeiterinterviews zuwider. So einfallslos wie berechnend. So konstruiert wie unkreativ. So an der...

BLUTENDES EFEUHERZ

"Wer zur Quelle will, muss gegen den Strom schwimmen." Hermann Hesse tönt mir damit leise aus der Seele. Schwimme ich doch sehr konsequent gegen den für die Mehrheit der Lebewesen gültigen Lebenszyklusstrom. Ich blühe zartgelb im Herbst und gebäre blauschwarze Beeren...

Rezepte & Küche

HEUTE SCHON GESHRUBT

Und damit meine ich nicht, ob du heute schon dein Auto geputzt hast. SHRUB !!! (sprich: Schrab ; engl.: Strauch, Busch; Bedeutung: veganer "Sauerhonig" oder essigsaurer Fruchtsirup) Kaum habe ich dieses mir schier im Munde zerfließende Wort zu Ende gesprochen, befinde...

NET FISCH, NET FLEISCH…

...SONDERN ALGE UND PILZ - UNSER ISLÄNDISCHES MOOS (Cetraria islandica) Schon mal Fjallagrasasupa gegessen? Nein? Noch nicht mal davon gehört? Eine wahrlich kulinarisch-botanische Wissenslücke am Spezialitätenbuffet unserer nährenden Mutter Erde tut sich klaffend auf,...

0 Kommentare

DER NATUR GEHÖR SCHENKEN

DER NATUR GEHÖR SCHENKEN

Kannst du dich erinnern, wann du das letzte Mal ganz und gar Ohr in der Natur warst? Wann hast du eigentlich das allererste Mal die Stimme der Natur wahrhaftig gehört? In welcher Sprache spricht die Natur zu dir? Und was flüstert eigentlich der Hahnenfuß der...

mehr lesen
Die moosbezogene Poesie des Waldes

Die moosbezogene Poesie des Waldes

Ich zähle ja nicht zu den geborenen Sprüche- und Zitateklopfern dieser Erde, die in jeder mündlichen wie schriftlichen Konversation und zu absolut jedem Thema G´scheites von mehr oder weniger bekannten Köpfen parat haben. Welch bewundernswerte Gabe für diesbezüglich...

mehr lesen