17. November 2021

DER LÖWENZAHN UND SEINE VIELEN GESICHTER

Das botanische Gesicht
Als ein mit Blattrosette ausgestatteter Vertreter der Familie der Korbblütler (Asteraceae, Kompositae) besteht das auffällige, an die Sonne erinnernde Blütenköpfchen des Löwenzahns (Taraxacum officinale) bei genauer Betrachtung aus vielen kleinen Einzelblüten, die eine große Blüte vortäuschen (Scheinblüte). So werden bei einem Insektenbesuch viele der kleinen Einzelblüten gleichzeitig bestäubt. Aus jeder einzelnen winzigen Blüte reift sodann eine längliche, braune Frucht, die durch ihren fallschirmartigen Haarkelch bei günstigem Wind bis zu 15 km fortgetragen wird. Der auffällige, goldgelbe Blütenkopf des Löwenzahns sitzt immer einzeln auf einem blattlosen, röhrenförmigen Stängel (Röhrlsalat), und beim Abreißen tritt sofort ein weißer, bitterer Milchsaft aus, der für die Gruppe der Zichoriengewächse innerhalb der Familie der Korbblütler typisch ist.

Die deutsche Namensgebung des Löwenzahns ist auf seine tief gezähnten Blattränder zurückzuführen. Der wissenschaftliche Name verrät uns einiges über seine Heilkräfte, obwohl sich die Sprachwissenschaftler über die Herkunft nicht ganz einig sind. Für den Gattungsnamen „Taraxacum“ gibt es mehrere Ableitungen, wie z.B. von den griechischen Wörtern „taraxacis“ und „akeo mai“, was so viel bedeutet wie „ich heile (Augen)Entzündung“. Es könnte sich aber auch ein arabischer Name, der ein „bitteres Kraut“ bezeichnet, dahinter verbergen. Der Artname „officinale“ leitet sich vom lateinischen Begriff „officina“ ab, mit dem der Laborraum einer Apotheke – das Offizin – bezeichnet wurde.

Das kulinarische Gesicht
Alle Pflanzenteile des Löwenzahns sind essbar. Als wahre Delikatesse gelten die im Frühjahr aus der Mitte der Blattrosette auftauchenden Blütenknospenköpfchen – ob in zerlassener Butter geschwenkt oder wie Kapern in Essig und Öl eingelegt. Die Blätter stehen uns als proteinreiches Wildgemüse fast ganzjährig frisch zur Verfügung. Die jungen Blätter werden roh in Salat und Aufstrichen, die älteren gekocht in Suppen, Saucen und Eintöpfen verarbeitet. Als essbare Dekoration schmücken die goldgelben Blütenzungen Salate und Desserts und ergeben mit Zucker aufgekocht einen köstlichen “Honig”. Unsere Vorfahren schätzten die stärkehaltige Herbstwurzel, um Kräfte für die kalte Jahreszeit zu speichern, genauso, wie die bittere Frühlingswurzel, um den winterträgen Stoffwechsel wieder in Schwung zu bringen.

Das volksheilkundliche Gesicht
Als Kulturfolger begleitet der Löwenzahn den Menschen seit dessen Seßhaftwerdung. Neben seiner nährenden Funktion schätzten unsere Vorfahren seine stärkende Einflussnahme auf den gesamten Organismus. Der bittere Geselle galt immer schon als Jungbrunnen und war wichtiger Bestandteil legendärer Lebenselixiere, wie dem “Ad longam vitam” des Paracelsus oder dem heute noch bekannten Schwedenbitter. Verwendung fanden die Zubereitungen der Blätter und Wurzeln in erster Linie zur Stoffwechselanregung und Verdauungsunterstützung, bei Leberleiden und zur Stärkung der Sehkraft.

Das pharmakologische Gesicht
Die traditionelle Heilpflanze weckte auch das wissenschaftliche Forschungsinteresse unserer modernen Zeit. In vielen klinischen Studien wurde tatsächlich ihre Wirksamkeit und gleichzeitige Unbedenklichkeit bestätigt (Positivmonographie der Komission E). Als wirksame Bestandteile gelten die Bitterstoffe Taraxacin und Taraxanthin, sowie der Mehrfachzucker Inulin. Weiters enthält der Komposit Kieselsäure, Vitamine und Spurenelemente, wie Magnesium, Kalzium und Eisen. Phytotherapeutisch finden vor allem Zubereitungen aus den Blättern und der Wurzel Verwendung bei Appetitlosigkeit, Völlegefühl und Flatulenzen, Obstipation, chronischen Beschwerden des rheumatischen Formenkreises, sowie als harntreibendes und abführendes Mittel. Kontraindikationen sind ein Verschluss der Gallenwege oder Gallensteinleiden. Hier wird von der Einnahme abgeraten bzw. eine solche nur nach ärztlicher Rücksprache empfohlen.

Das naturphilosophische Gesicht
Der anpassungsfähige Löwenzahn fühlt sich besonders auf überdüngten Wiesen wohl. Er gilt als Bodenheiler. Betrachten wir diese Vorliebe im Kontext des universellen Naturgesetzes  “Wie außen, so innen“, können wir daraus ableiten, dass eine Pflanze, die unsere überdüngten Böden „heilt“, auch unsere “übersättigten” Körper reinigen kann. Tatsächlich regt der weiße, bittere Milchsaft unsere Entgiftungsorgane Leber, Galle und Niere und den Lymphfluss an. Der Signaturenlehre nach weist die asphaltbrechende Kraft auf seine Fähigkeit hin, Nieren- und Gallensteine aufzulösen. Sein Wesen steht für Wandlung, Wärme, Fließen und Kraft. Die vitale Sonnenpflanze versorgt uns das ganze Jahr über mit wärmender, lebensflussanregender und transformierender Energie.

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